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Diary
Jfk

Kalender, Kalender, Du bist ja schon so dünn...

Der Schneeeulenmond, oder auch Dezember hat es so in sich, dass die Menschen den Kalender sehr viel aufmerksamer als im übrigen Jahr beobachten. Fragen wie « Welchen Tag haben wir heute eigentlich? » hört man in der Adventszeit deutlich seltener.

Das ist in der einfachsten Bauernhütte nicht anders als im Weissen Haus. Sogar Präsident Kennedy wird dabei ertappt, wie er jeden Tag auf den Kalender schielt – und das nicht um nach Terminen für Konferenzen zu schauen.
Auch heute war dem wieder so und diejenige die ihn dabei beobachtet hatte, seine Frau Anastasia, sprach ihn darauf an.
"Wir haben den Sechzehnten. Noch 5 Tage. Fünf harte Tage", seufzte John F. " Das ist fast so schlimm wie in der Kindheit."
"Sei froh, dass wir keine Christen sind, denn dann dauerte es noch ganze 8 Tage."
"Ach weisst Du, bei uns früher haben wir einfach zwei mal gefeiert. Einmal das heidnische Weihnachten am 21 und einmal das christliche Weihnachten am 24."
"Gabs auch beide Male Geschenke?"
"Ja, Die Geschenke meiner Mutter, die Katholikin war, bekam ich erst am 24. Die meines Grossvaters der Heide war, schon am 21."
"Ist doch schön. Aber es kommt ja eh nicht auf die Geschenke an, nicht wahr?"

Kaum dass Anastasia dies gesagt hatte, setze John F. seinen beunruhigenden, düsteren Blick auf. Verstohlen wie ein Schuljunge blickte er zu Boden um dann aus den Augenwinkeln in Anastasias Richtung zu blinzzeln.

"Bring das mal einem Kind bei. Egal ob Rückkehr des Lichtes, Geburt von Jesus oder Mitras oder allem zusammen - klingt ja alles sehr schön, aber wer glaubt, dass Kinder nicht erstlienig wegen der Geschenke Weihnachten zufiebern, romantisiert selbige hofnungslos. Wenn man sich als Kind auch noch etwas ganz spezielles gewünscht hat, dann tritt dieser eine Wunsch voll und ganz in den Vordergund... So wie bei mir, als ich zehn war. "
"Erzähl!" lächelte Anastasia.

Ich hatte mir Pfeil und Bogen gewünscht. Dies sogar schon seit zwei Jahren, aber früher hiess es immer, ich sei dafür noch zu klein. In jenem Jahr hatte ich aber Grund zur Annahme, dass nun endlich etwas daraus werden würde.Und so hielt ich es spätestens seit dem 12. Adventstag vor lauter Vorfreude nicht mehr aus.
Ich hatte schon damals eine politische Ader und versuchte daher, einen früheren Termin für das Julsfest auszuhandeln. Mit diesem Anliegen biss ich jedoch auf Granit. Denn, so lautete es übereinstimend aus der Erwachsenenwelt: Das Julsfest wird gefeiert, wenn der Jule-Hirsch das Sonnenlicht wieder findet und das ist am 21. Tag.

«Jeden Tag nach Litha, der Sommersonnenwende, scheint die Sonne etwas weniger lang. Das nicht gesendete Licht versteckt sie an einem geheimen Ort und dort wird es verwahrt bis zu Jule. Dann kommt der Jule-Hirsch und bringt das Licht zurück zur Sonne und diese gibt es dann wieder stückchenweise auf die Erde zurück, jeden Tag etwas mehr davon» So jedenfalls erkärte es mir mein Grossvater.
So logisch das Ganze klang, mir wollte trotzdem nicht recht einleuchten, warum der Hirsch das Licht immer erst am 21. Tag findet. Ich schlug daher vor, ihn mit dem Einsatz von modernen Suchmethoden - einer Hundestaffel oder mit Scheinwerfern bestückten Zeppelinen – zu unterstützen.

Keine dieser Anregungen stiessen bei meinen Eltern auf Zustimmung. Nur meine kleine Schwester Kathleen war von der Idee angetan. Was angesichts der Tatsache, dass sie ihrerseits auf eine sehnlichst gewünschte Stoffpuppe zufieberte, verständlich war.

Ponyeitt

Im Schnee

Und so beschlossen wir, die Sache eben selber in die Hand zu nehmen. Unter dem Vorwand nur etwas ausreiten zu wollen, holte ich mein Pony und wir galoppierten hinaus in die Kälte.
Am Anfang war alles ganz leicht und machte auch viel Spass. Spielerisch guckten wir überall nach, wo man unserer Meinung nach eine Ladung konserviertes Licht versteckt halten könnte, unter Felsen, in Baumhöhlen, hinter Holzstapeln oder in alten Heuschobern.
nach einiger Zeit fing Kathleen mit dem "Du, Jack, ich bin müde, mir ist kalt und ich will nach Hause" Genörgel an.
"Wir haben das Licht aber noch nicht gefunden" wies ich ihr Begehren zurück.
"Mir egal. Ich habe Hunger".
"Wir reiten jetzt noch zu dem Baum dort. Wenn dort nichts ist, kehren wir um."
Als wir beim Baum angelangten und nichts fanden, schlug ich vor, es noch ein bisschen weiter, bei den Dünen zu versuchen. Als dort auch nichts war, lenkte ich das Pony in den Küstenwald. Kathleen hatte schon bei den Dünen kategorisch nein gesagt, aber mittlerweile hatte ich ihr das Mitspracherecht schlichtweg entzogen und ritt immer weiter, ihr Gequängel ignorierend.

Fast gänzlich unbemerkt von uns, hatte sich der Himmel zwischenzeilich arg verdüstert. Dunkle Wolken zogen auf, eine eisige Brise wehte vom Landesinnern heran und trieb uns Tränen in die Augen. "Ich will nach Hause, ich will nach Hause! Ich sag alles Mama und dann verhaut sie Dich fünf Wochen lang!" Kathleens verzweifelte Drohung erstickte fast in ihrem Schluchzen. Endlich sah auch ich ein, dass es Zeit war, umzukehren. Das Pony war durchgeschwitzt und fror und auch ich fühlte mich nicht mehr wirklich wohl.
Nun fing es an zu schneien. Zunächst nur wenige Flocken, dann mehr und nach wenigen Minuten ware es so, als ob Frau Holle persönlich die Kissenschlacht-Party des Jahrhunderts feiern würde. Ich konnte kaum noch etwas sehen. Kathleen wimmerte und das Pony schnaufte und zitterte.
"Sind wir bald da?" scherbelte Kathlens Stimmchen hinter mir.
"Ja".
Das war allerdings gelogen. In Wahrheit wusste ich nicht einmal mehr, wo wir waren. Die Landschaft versank immer tiefer im Schnee, es wurde dunkel und ich fror und schlotterte.

Plötzlich hörte der Schneefall auf. Ganz abrupt. Mir war auch gar nicht mehr kalt. Vor uns lag eine stille Waldlichtung, versunken im unberührten Schnee.
"Wo sind wir" fragte Kathleen.
Aus der Mitte der Lichtung schimmerte ein eigenartiges Licht. Es war hell, warm und zog uns wie magisch an. Ich trieb das Pony voran und so näherten wir uns der Mitte der Lichtung.
"Schau nur da!" Rief Kathleen.
Auf der Lichtung, tief im Schnee, stand ein goldener Kessel, gefüllt mit Licht. Daneben wachte eine schneeweisse Hindin.

Hindin

"Wir haben es gefunden! wir haben das Julelicht gefunden" rief ich voller Aufregung.
"Dann lass es uns holen und dann gehen wir aber wirklich nach Hause".
Ich sprang vom Pony und wollte auf den Kessel zugehen als plötzlich eine kleine Fistelstimme aufschrie: "Halt! Was wird das, wenn's fertig ist?!"

Neben mir stand ein knorriger, kleiner Kobold. Fast so hässlich wie die entsprechenden Holzschnitzfiguren, die man auf diesen kitschigen Rollenspieler-Börsen kaufen kann.

"Ich will das Julelicht holen" antwortete ich dem Zwerg.
"Bist Du noch bei Trost, Du saublöde Blage?!" giftete der Kobold.
"Was willst Du eigentlich!? Lass mich jetzt durch!"
"Wenn Du das Julelicht jetzt schon, am Sechzehnten, in die Welt bringst, was wird dann wohl passieren?".

"Ich kriege meinen Bogen früher."
"Du gierige, kleine Null, NEIN! Na gut das vielleicht schon, aber hast Du mal zwei Sekunden über die Konsequenzen nachgedacht? Also, pass auf du Genie! Wenn Du die Wintersonnenwende am 16 stattfinden lasst, werden die Tage wieder länger, das Licht wird also wieder verteilt."
"Ja"
"Ja, eben, nachdenken Du Hirni! ...und reicht dann natürlich nicht bis zum 21. Juni, zu Litha. Ergo, wird man Litha auch vorziehen müssen, auf den 16. Juni. Dann natürlich auch nächstes Jule wieder auf den 16. Und was haben wir davon? 5 Tage weg, verloren, im Nirwana! Zeit, gestohlen von einem kleinen Spinner der nicht warten konnte, bis er seinen depperten Bogen bekommt."
Nun wollte ich meinen Bogen zwar dringend, aber dann doch nicht um den Preis, gleich Schuld an einer Verschiebung des Raum-Zeit Kontinuums zu sein. Ich beschloss also, dass es doch nicht so schwer sei diese 5 Tage noch warten.
Ich wollte gerade wieder in den Sattel steigen, als mir plötzlich schwindelig wurde. Alles drehte sich und ich versank in einem schwarzen Loch.

Als ich aufwachte, lag ich in meinem Bett. Der Haus-Medicus stand im Zimmer, gleich neben meiner Mutter und lächelte gutmütig während er das Fieberthermometer schüttelte: "Es ist schon besser geworden" sagte er. "Verabreichen Sie ihm weiterhin alle drei Stunden Essigwickel, dann kriegen wir das Fieber in den Griff."

"Dann war alles nur ein Fiebertraum?" fragte Anastasia, die gespannt gelauscht hatte.
"Der Ritt war real. Und der Schneesturm auch. Als wir nicht nach Hause gekommen waren, hatten uns unsere Eltern gesucht und fiebernd im Schnee gefunden. Wir mussten danach eine wirklich dicke Erkältung überwinden - und eine Strafe bekam ich natürlich auch aufgebrummt, weil ich Kathleen in Gefahr gebracht hatte mit meiner verrückten Idee. Trotzdem habe ich aus dem Erlebnis auch etwas gelernt, dass eben alles seine Zeit hat und man nicht versuchen sollte, den Lauf der Dinge auszutricksen."

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